demenz

„Ich habe Mittagessen gekocht und es ist im Kühlschrank, oder?“

Interview mit Angehoeriger eins Demenzerkrankten

Ein Interview mit einer Angehörigen.

Interviewer: Hallo Frau Hartlieb. Vielen Dank, dass Sie diesem Interview zugesagt haben. Sie haben mir im Vorhinein erzählt, dass Ihr Opa verstorben ist und von Demenz betroffen war. Wie haben Sie Ihren Opa in Erinnerung? Wer war er für Sie?

Katrin Hartlieb: "Mein Großvater hat mir sehr viel bedeutet. Ich hatte eine sehr enge Bindung zu ihm. Ich habe immer sehr viel Zeit mit meinen Großeltern verbracht, als ich ein Kind war, aber auch als erwachsene Person. Meine Großmutter ist vor langer Zeit schon verstorben. Das ist sehr viele Jahre her und mein Großvater hat deswegen viele Jahre alleine gelebt. Dadurch hat sich unsere Beziehung auch noch einmal intensiviert. Ich habe ihn dann häufiger besucht, weil ich ja wusste, dass er alleine ist, und mehr Zeit mit ihm verbracht. Ich hab meinen Großvater natürlich sehr positiv in Erinnerung. Er war immer ein sehr lustiger Mensch, der auch sehr gerne und sehr viel geredet hat. Wir haben eine sehr große Familie und er hat eigentlich auch immer Kontakt zu allen gehalten… hat immer mit allen telefoniert oder sich halt regelmäßig besuchen lassen, als es noch ging. Als er noch mobiler war, war er auch selbst sehr viel unterwegs. Ich hatte immer eine sehr schöne Zeit mit meinem Großvater und bin da sehr dankbar für."

Interviewer: Wann haben Sie gemerkt, dass Ihr Opa an Demenz erkrankte?

Katrin Hartlieb: "Also ich muss einmal dazu sagen: Mein Großvater ist mit 92 Jahren verstorben d.h. er hatte halt schon ein sehr hohes Alter erreicht. Die beginnende Demenz merkte man, würde ich sagen, bestimmt schon mit Anfang 80 bei ihm. So richtig angefangen hat es dann, als er 2020 einen kleinen Schlaganfall hatte und dadurch dann gestürzt ist. Nach diesem Ereignis ist es extremer geworden und danach war dann schon wirklich klar: Okay. Das muss auf jeden Fall eine Demenz sein."

Interviewer: Haben Sie hierzu eine konkrete Geschichte im Kopf, die das veranschaulicht?

Katrin Hartlieb: "Es waren so Kleinigkeiten im Alltag, und zwar war ich dann irgendwann nachmittags bei ihm und er sagte mir, er hatte was zum Mittagessen gekocht und es würde im Kühlschrank stehen. Ich bin dann in die Küche gegangen und habe in den Kühlschrank geschaut und es war nichts Gekochtes im Kühlschrank. Ich habe meinen Opa daraufhin angesprochen und er hat gesagt: ´Doch ich hab’s in den Kühlschrank gepackt!´. Wir sind noch mal zusammen zum Kühlschrank gegangen und haben reingeguckt. Es war tatsächlich nichts da und er war dann ganz irritiert. Mein Opa fragte mich dann, ob er wirklich was zu Mittag gekocht hat. Er wirkte sehr verunsichert die ganze Zeit über. Wir haben uns dann entschieden, ein Brot zu machen. Als ich dann einen Schrank geöffnet habe, in dem die Teller drinnen waren, habe ich das von Opa gekochte Mittagessen gesehen. Da hatte er tatsächlich das Mittagessen nicht in den Kühlschrank geräumt, sondern in den Schrank, wo die Teller drin waren. Das habe ich ihm dann gesagt: ´Oh Opa, das Mittagessen ist in dem Schrank´. Dann meinte er zu mir: ´Oh, da hab ich irgendwie in dem Moment nicht richtig nachgedacht.´"

Interviewer: Wie wurde Ihr Opa unterstützt? Neben der Demenz-Diagnose war wahrscheinlich auch eine hohe pflegerische Versorgung notwendig?

Katrin Hartlieb: "Ja, also unterstützt wurde er ausschließlich durch seine Familie, also durch seine Kinder und auch einige seiner Enkelkinder, als er dann 2020 diesen kleinen Schlaganfall hatte. Danach war er keinen Tag mehr allein zu Hause. Er hat vorher halt allein gelebt und war Tag und Nacht eigenständig im Haushalt. Wir waren immer mal zu Besuch bei ihm. Der Pflegebedarf hatte von Zeit zu Zeit immer mehr zugenommen. Er hat dann auch einen Pflegegrad bekommen, der sich dann auch später im Laufe der Zeit natürlich gesteigert hatte. Unterstützt wurde er jeden Tag von der Familie. Er war zu keiner Zeit mehr allein, auch nicht in der Nacht.

Zu Beginn war das dann auch ein bisschen komisch für meinen Großvater, weil er immer noch gesagt hat: ´Ach! Ich kann das noch allein. Bis zu seinem Tod hat er ganz viele Dinge immer noch alleine machen wollen und auch teilweise auch noch machen können. Aber es hat sich wirklich so sehr verschlimmert, dass er irgendwann mal auch nicht mehr klar kommunizieren konnte, was er wollte oder was seine Bedürfnisse waren. Und er hat dann auch irgendwann angefangen in seiner Muttersprache zu sprechen. Also, er sprach halt fließend Deutsch, fließend Russisch sowie auch fließend Kasachisch. Überwiegend sprach er Deutsch. Im späteren Verlauf der Demenz hat er dann gewechselt. Er hat mehr russisch gesprochen und zuletzt tatsächlich fast nur noch kasachisch. Das hat die Kommunikation extrem erschwert. Seine Kinder konnten ein bisschen kasachisch. Seine Enkelkinder aber auch gar nicht und es war häufig dann eher so ein Rätseln, worum es da gerade geht oder was er gerade braucht oder haben möchte."

Interviewer: Hatten Sie sich, bevor Ihr Opa an Demenz erkrankte, mal mit der Diagnose Demenz beschäftigt bzw. auseinandergesetzt? 

Katrin Hartlieb: "Nicht wirklich, nein. Also mir war immer schon klar, was Demenz so ungefähr ist und dass es halt Leute ab einem bestimmten Alter natürlich trifft. Aber so wirklich konfrontiert, war ich nie damit. Bis zum Zeitpunkt, als mein Opa an Demenz erkrankte, hatte ich mich nicht über die Erkrankung informiert. Überwiegend habe ich tatsächlich das Internet für die Recherche der Erkrankung genutzt. Eigentlich habe ich die ganze Zeit nach einer Internetseite gesucht, die mich wirklich in einfacher Sprache über die Dinge informiert, die jetzt auf mich zukommen. Zu manchen Fragen habe ich dann ganz gute Antworten gefunden. Ich habe nicht mit Ärzten oder so gesprochen, weil ich häufig so dachte: ´Ich glaube nicht, dass die mir die Hilfe anbieten können, die ich in diesem Moment benötige´. Und eigentlich habe ich nach kurzen knackigen Antworten gesucht."

Interviewer: Habe ich eine Frage vergessen, die Sie selbst stellen und beantworten wollen?

Katrin Hartlieb: "Was mir bei meinem Opa immer einfällt, ist, dass es für mich immer eine Art von Doppelbelastung war. Es war eine sehr große emotionale Belastung, weil die Bindung, die ich zu meinem Opa hatte, ja sehr stark war. Dieser körperliche Abbau von meinem Opa hat mich mitgenommen. Zum anderen war’s dann so eine zusätzliche bürokratische Belastung, weil ich immer versucht habe, alles mögliche über die Pflegekasse zu klären und zu gucken: ´Okay, wie kann ich da irgendwie Hilfe leisten? Wie kann ich ihn unterstützen?´ Ich hätte mir in dieser Zeit sehr viele, auch gerne kleine Hilfsmittel gewünscht, die die Situation irgendwie einfacher gemacht hätten. Ich muss sagen, dass ich da tatsächlich sehr wenig zu gefunden habe oder sehr wenige Möglichkeiten gesehen habe. Das hat die ganze Situation dadurch erschwert."